Sonstiges
Auf dem Modell ist die Prozesslinie gut zu erkennen.
Die modernste Rüben-Zuckerfabrik der Welt
Zucker aus der Wüste: ein technisches Meisterwerk im Land der Pyramiden
Zahlreiche Komponenten aus Deutschland treffen auf Kreativität aus Ägypten und Dubai

Auf dem Modell ist die Prozesslinie gut zu erkennen.
Die modernste Rüben-Zuckerfabrik der Welt
Zucker aus der Wüste: ein technisches Meisterwerk im Land der Pyramiden
Zahlreiche Komponenten aus Deutschland treffen auf Kreativität aus Ägypten und Dubai
Von Fred Zeller | VSZ
Mit einer jährlichen Produktionskapazität von bis zu 950.000 t Weißzucker in der Endausbaustufe ist die Anlage des Unternehmens Canal Sugar in Mittelägypten, ca. 250 km südlich von Kairo, darauf ausgelegt, die modernste und größte Rübenzuckerfabrik der Welt zu werden. Zu ihrer Versorgung sollen bei voller Auslastung 90-100.000 ha Zuckerrüben jährlich in der Region angebaut und weiteres Ackerland in der Größenordnung von 200-300.000 ha für den Fruchtwechsel bewirtschaftet werden (wir berichteten in der Juli-Ausgabe dieser Zeitung). Mit einem Investitionsvolumen von rund 1 Milliarde US-$ handelt es sich dabei um das mit Abstand größte Neubauprojekt der globalen Zuckerwirtschaft.
Wachsende Nachfrage nach Zucker
Das Vorhaben zielt darauf, der unzureichenden Selbstversorgung Ägyptens und dem wachsenden Zuckerbedarf der mit enormer Dynamik zunehmenden Bevölkerung zu begegnen. 1950 lebten erst 20 Millionen Menschen in Ägypten, 2000 waren es 60 Millionen und 2020 schon 100 Millionen. Die Vereinten Nationen prognostizieren bis 2050 einen weiteren Anstieg auf 150 Millionen Ägypter. Nach Schätzung des US-Landwirtschaftsministeriums dürfte sich die kaufkräftige Zuckernachfrage im Land der Pharaonen von heute 3,2 Millionen t p.a. bis 2065 auf 6,5 Millionen t p. a. mehr als verdoppeln. Dazu wird nach Einschätzung des USDA auch beitragen, dass der Pro-Kopf-Verbrauch noch einmal deutlich steigen dürfte. Allein bis 2030 rechnet man mit einer Zunahme um rund 10 % vom heutigen Niveau auf 35,2 kg/Kopf. Die Zuckerfabrik der Canal Sugar ist genau auf den aktuellen Importbedarf Ägyptens von 800.000-1 Million t jährlich ausgelegt.
Mit einer vorgesehenen Tagesverarbeitung von 36.000 t Zuckerrüben und 150 Kampagnetagen könnten 5,4 Millionen t Zuckerrüben jährlich durch das Werk fließen. Neben dem Zucker würden dann bis zu 300.000 t Schnitzel und bis zu 270.000 t Melasse anfallen.
In der Zuckerfabrik wurden die neuesten Technologien verbaut.
Internationale Technik mit Wiedererkennungswert
Allein für den Anlagenbau hat der Investor rund 400 Millionen € ausgegeben. Im Gegensatz zu Rübenzucker-Fabriken in gemäßigteren Klimaten entfiel dabei nur ein kleinerer Teil auf Gebäude, die Anlagen stehen größtenteils im Freien. Trotzdem wurden 66.000 m³ Beton und 6.800 t Stahl verbaut sowie 43 km Pipelines verlegt. Das Fabrik-Layout orientiert sich am Konzept der sogenannten „Prozess-Linie“, d.h. alle Anlagen sind kerzengerade hintereinander positioniert. Der in hohem Maße auch an technischer Exzellenz interessierte dubaische Leit-Investor Jamal Al Ghurair hat dafür höchstpersönlich die nach seiner Meinung besten Anlagenteile aus der ganzen Welt kombiniert. Zentrale Komponenten kommen aus Deutschland, wie die Eingangswaagen von Sartorius, Rübenwäsche, Schneidemaschinen, Schnitzelpressen und Saftreinigung von Putsch, Zuckergehaltsbestimmung mit dem „beetrometer“ von KWS und Extraktionstürme der Braunschweigischen Maschinenbauanstalt (BMA). Aber auch italienische, französische, englische und chinesische Technologie kommt zum Einsatz.
Innerhalb der Prozesslinie legt die Rübe auf ihrem Weg zum Zucker 1 km zurück.

Von Fred Zeller | VSZ
Besonders stolz ist man bei Canal Sugar auf die eigenen technischen Konzepte, wie zum Beispiel die Zuckerentfärbung mit granulierter Aktivkohle, die Schnitzeltrocknung unter Zuhilfenahme der im Überfluss vorhandenen Sonneneinstrahlung und die weithin sichtbaren zwei Portalkräne über der Fabrik, die künftige Erweiterungen und Reparaturen der Anlage wesentlich erleichtern sollen.
Das eigentliche Erkennungszeichen der neuen Zuckerfabrik soll das riesige Zuckersilo werden, das sich derzeit noch im Bau befindet. Nach dem Vorbild der Raffinerie der Al-Ghurair-Gruppe in Dubai ist ein sogenannter Dom mit einem Fassungsvermögen von 400.000 t geplant. Die Stahlbetonkonstruktion wird 40 m tief in die Erde reichen und noch einmal 40 m hoch über dem Grund aufragen. Der Durchmesser an der Erdoberfläche beträgt 124 m. Die verzögerte Fertigstellung ist darauf zurückzuführen, dass das Tragwerk beim ersten Versuch, die obere Schale zu betonieren, eingestürzt ist. Aus diesem Grund können gegenwärtig nur 50 kg Säcke in den vorhandenen acht Abpacklinien gefüllt werden, die ohne Paletten direkt auf LKWs verladen werden. Aber auch über diese Schiene ist Canal Sugar in der Lage, 440 t Zucker pro Stunde aus der Fabrik zu fahren.
Rahmenbedingungen bieten Chancen und Hindernisse zugleich
Ein starker Trumpf der neuen Zuckerfabrik sind günstige Energiepreise. Erdgas kostet dort 0,14 €/kWh, das ist ca. die Hälfte des europäischen Spotmarkt-Börsenpreises im August 2023. Die Kilowattstunde Strom schlägt mit 6 Euro-Cent zu Buche, Diesel kostet 0,38 €/l. In Verbindung mit dem fortschrittlichen Technologiekonzept, das einen vergleichsweise geringen Energieverbrauch von nur gut 1 kWh/kg Zucker ermöglicht, ist Canal Sugar in diesem Bereich hoch effizient. Das sollte sich in einer guten Wirtschaftlichkeit bemerkbar machen, denn der Zuckerpreis in Ägypten bewegt sich offiziell mit rund 600 €/t Weißzucker in der Nähe der derzeitigen Weltmarktnotierung. Der sogenannte Straßenpreis liegt aber wegen des derzeit noch signifikanten Importbedarf deutlich höher. Für Zuckerrüben sind offiziell zwischen 40 und 45 €/t zu zahlen.
Die untere Schale des gigantischen Zucker-Doms ist weitgehend fertig, die Kuppel zu betonieren bleibt jedoch die große Herausforderung der nächsten Monate.
Allerdings steht die neueste ägyptische Zuckerfabrik trotz der sorgfältigst ausgesuchten Technologiekomponenten vor großen Herausforderungen. Während der Kampagne von April bis August herrschen am Standort nicht selten Außentemperaturen von 45 °C und mehr. Das kann für eine Zuckerfabrik problematisch werden im Hinblick auf die notwendige Kühlung der Anlagen und des Endprodukts. Der feine Wüstensand ist im Umfeld der kaum durch Gebäude geschützten Aggregate im wahrsten Sinne des Wortes allgegenwärtig. Ob und wie er Funktionsweise und Lebensdauer der einzelnen Komponenten beeinflussen kann, bleibt abzuwarten. Die neuen Technologien, wie die Aktivkohle-Entfärbung des Dünnsafts, die Schnitzeltrocknung im Freien mit Sonnenlicht oder die Endprodukt-Lagerung im Zucker-Dom, müssen sich erst noch bewähren. Dazu kommen die gewaltigen Herausforderungen in der Landwirtschaft (s. dzz vom Juli 2023).
Neben der eigentlichen Zuckerfabrik haben die Investoren auch zahlreiche Wohnungen für die vielen oft nur während der Kampagne beschäftigten Mitarbeiter errichtet. Die im einheitlichen arabischen Stil gehaltenen Apartments sind für ägyptische Verhältnisse großzügig angelegt und modern ausgestattet (s. Foto). Darüber hinaus gibt es eine kleine Moschee, eine sehr schöne Kantine und einen ganz neuen Kleinfeld-Bolzplatz mit Kunstrasen für die fußballverrückten Ägypter.
Die Appartments für die Mitarbeiter sind im arabischen Stil gebaut und auf die Hitze ausgelegt. Fotos (5): VSZ