Markt, Politik und Ökonomie

Abwechslungsreich und ausgewogen sollte der Speiseplan sein. FOTO: BMEL

Helfen Werbeverbote für zuckerhaltige Produkte?

Süßes Gift oder bequemer Sündenbock?

Deutsche werden immer dicker - heftige Diskussionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen

Abwechslungsreich und ausgewogen sollte der Speiseplan sein. FOTO: BMEL

Helfen Werbeverbote für zuckerhaltige Produkte?

Süßes Gift oder bequemer Sündenbock?

Deutsche werden immer dicker - heftige Diskussionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen

Von Fred Zeller | VSZ

Einst als kostbare Kolonialware in teuren Silberdosen aufbewahrt, später als existenzsicherndes Grundnahrungsmittel hochgeschätzt wird Zucker in den letzten Jahrzehnten immer stärker als ungesundes Lebensmittel angesehen, bisweilen sogar als bösartiges Suchtmittel verunglimpft. Seit dem Amtsantritt der Ampel-Regierung hat die kritische Auseinandersetzung mit dem Zucker noch einmal an Schärfe gewonnen.

Im Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021 heißt es im Kapitel Ernährung: „Wir werden, insbesondere mit Blick auf Kinder, mit den Akteuren bis 2023 eine Ernährungsstrategie beschließen, um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen. … An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.“

Weil es für Deutschland dazu keine Daten gibt, ein Beispiel aus den USA: Die tägliche Kalorienaufnahme von 1970 - 2017 ist dort um ca. 500 kcal gestiegen, der Anteil von Zucker und Süßungsmittel ist aber seit 2000 absolut und relativ rückläufig. Quelle: USDA

Über die Umsetzung dieser Vorgabe durch Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir ist es in den letzten Monaten immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Dabei wird die Diskussion häufig emotional und auf einer schwachen Datengrundlage geführt.

Weniger Hartgesottene, die mit Zuckerrübenanbau, -verarbeitung und Weiterveredelung von Zucker zu tun haben, könnte angesichts der negativen Berichterstattung in den Medien der Gedanke beschleichen, dass sie an einer gesundheitsgefährdenden Sache mitwirken. Deshalb sollen - z.T. mit Hilfe des textbasiertens Dialogsystems bing - an dieser Stelle einmal einige Fakten zur Streitfrage zusammengetragen werden.


Von Fred Zeller | VSZ


Wie hat sich das Problem Übergewicht in Deutschland in den letzten 50 Jahren entwickelt?

Bing: Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) sind in Deutschland fast 47 % der Frauen und 61 % der Männer von Übergewicht (einschl. Adipositas = krankhafte Fettleibigkeit) betroffen, basierend auf Selbstangaben aus den Jahren 2019/2020. Fast ein Fünftel der Erwachsenen (19 %) weist eine Adipositas auf. Die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas steigt mit höherem Alter an.

Laut einer Studie des RKI aus dem Jahr 2022 ist die Verbreitung von Übergewicht einschließlich Adipositas in den letzten Jahren unverändert hoch geblieben. In der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre waren rund 10 % der Frauen und Männer von einer Adipositas betroffen, während dieser Anteil bei den 45- bis 64-Jährigen auf über 20 % anstieg. Die Fettleibigkeitsrate in Deutschland hat sich im Vergleich zum Jahrtausendwechsel nahezu verdoppelt und liegt bei rund 60 %. Übergewicht und Adipositas sind Mitursache für viele Beschwerden und können die Entwicklung chronischer Krankheiten begünstigen. Aufgrund der weiten Verbreitung und den damit verbundenen Folgeerkrankungen entstehen beträchtliche Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem. Übergewicht und Adipositas sind daher Themen von hoher Public-Health-Relevanz.

Was sind die Ursachen hierfür?

Bing: Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) sind die Ursachen für Übergewicht in Deutschland vielfältig und können sowohl genetisch bedingt als auch durch Umweltfaktoren beeinflusst werden.

Eine ungesunde Ernährung und mangelnde körperliche Aktivität sind jedoch die Hauptursachen für Übergewicht und Adipositas. Eine Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2022 zeigt, dass [sich] die Prävalenz von Übergewicht einschließlich Adipositas in den letzten Jahren unverändert hoch geblieben ist.

Was sind die Ursachen hierfür?

Zucker bietet neben seiner Süße viele weitere nützliche Eigenschaften in Lebensmitteln. Er wird deshalb auch häufig da eingesetzt, wo man ihn nicht erwartet und kaum schmeckt.

Dass er sich hervorragend zur Konservierung von Obst eignet, wissen viele. Dass er für einen aromatischen Geschmack anderer Zutaten sorgt und diese ausbalanciert, ist schon weniger bekannt. Eiscreme wäre weniger zartschmelzend, Backwaren weniger geschmeidig. Außerdem würde viele Nahrungsmittel trocken und spröde, v. a. nach einiger Zeit der Lagerung.

Der Trend zu Fertigprodukten lässt diese technologischen Vorteile an Bedeutung gewinnen (s. Grafik).

Die Position des Bundesministers

Mehr Kinderschutz in der Werbung - Pläne für klare Regeln zu an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung Kinder schützen – Eltern stärken: Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft arbeitet an klaren und verbindliche Regeln zu an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung. Damit setzen wir einen Auftrag aus den Koalitionsvertrag um. Denn an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung preist sehr häufig hochverarbeitete Lebensmittel an, die zu viel Zucker, Fett oder Salz enthalten.

Der übermäßige Verzehr solcher Lebensmittel trägt zu ernährungsmitbedingten Erkrankungen bei (z.B. Adipositas, Diabetes), die hohe gesellschaftliche Kosten verursachen.

Lebensmittelwerbung hat einen nachhaltigen Einfluss auf das Ernährungsverhalten bei Kindern unter 14 Jahren. Sie sind besonders empfänglich für Werbung. Eltern haben kaum die Möglichkeit, ihre Kinder vor Werbung zu schützen. Dabei wird gerade im Kindesalter Ernährungsverhalten entscheidend für das weitere Leben geprägt.

Um Kinder zu schützen, Eltern zu stärken und im Alltag zu entlasten sowie zu einer besseren Ernährungsumgebung beizutragen, so dass Kinder gesund groß werden können, soll sich Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt in allen relevanten Medien nicht mehr an Kinder richten dürfen.

Bisherige freiwillige Selbstverpflichtungen und Branchenregeln konnten Kinder nicht effektiv vor negativen Werbeeinflüssen schützen.

Die Position der deutschen Zuckerwirtschaft

BMEL-Werbeverbote sind wissenschaftlich unbegründet

Die Einteilung von Lebensmittel anhand von Nährwertprofilen in gut und schlecht ist wissenschaftlich nicht begründbar.

Das BMEL setzt bei der Übergewichtsprävention auf Werbeverbote und teilt Lebensmittel dafür anhand von Nährwertprofilen in gut und schlecht. Diesem Vorgehen fehlt jede wissenschaftliche Grundlage. Daran ändern auch die jüngsten Anpassungen nichts. Niemand wird davon schlank und der vielfältige Genuss unserer Lebensmittel bleibt auf der Strecke.

Die Zuckerwirtschaft unterstützt die Absicht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Kinder besser vor Übergewicht zu schützen. Entscheidend dafür ist es, die Gesamternährung und vor allem die Kalorienbilanz in den Blick zu nehmen. Das macht das BMEL nicht. Stattdessen unterteilt es Lebensmittel in gesund und ungesund, also in gut und schlecht. Weitreichende Werbeverbote sind die Konsequenz dieses realitätsfernen und wissenschaftlich unbegründeten Ansatzes.

Die Position der Weltgesundheitsorganisation

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) hat in ihrer Richtlinie zur Zuckeraufnahme „freie Zucker“ als solche definiert, die Lebensmitteln und Getränken hinzugefügt werden sowie Zucker aus Honig, Sirup, Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten. Laut der WHO sind schlechte Ernährung und Bewegungsmangel zwei der häufigsten vermeidbaren Ursachen für Todesfälle durch nicht-übertragbare Krankheiten weltweit.

Freie Zucker tragen in hohem Maße zur Energiedichte von Lebensmitteln bei. Eine ausgewogene Energiezufuhr ist wichtig für ein gesundes Körpergewicht und optimale Nährstoffzufuhr. Werden allerdings zu viele freie Zucker aufgenommen, besteht die Gefahr, dass zum einen die Energiedichte der Nahrung zu hoch und zum anderen die Versorgung mit Nährstoffen zu gering wird, da nährstoffreiche Lebensmittel durch energiereiche zuckerhaltige ersetzt werden.

Weiterhin werden freie Zucker mit Karies in Verbindung gebracht, einer der häufigsten nicht-übertragbaren Krankheiten weltweit. Auch wenn Karies vor allem in westlichen Ländern durch Zahnhygiene verhindert und bei Bedarf gut behandelt werden kann, stellt sie in weniger entwickelten Ländern durch eine Reihe an Folgeerscheinungen, wie z.B. schmerzbedingt unregelmäßigen Schulbesuch, ein großes Problem dar.

Aus diesen Gründen empfiehlt die WHO eine geringe Aufnahme an freien Zuckern sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Freier Zucker sollte nicht mehr als 10 % der gesamten Energiezufuhr ausmachen. Die gesamte Energiezufuhr wird dabei als Summe aller am Tag aufgenommen Kalorien gemessen. Weiterhin spricht sich die WHO dafür aus, den Anteil des freien Zuckers an der gesamten Energiezufuhr nach Möglichkeit unter 5 % zu halten. Diese zusätzliche Empfehlung ist jedoch nach eigener Aussage der Organisation mit Unsicherheiten bezüglich ihrer tatsächlich positiven Wirkung behaftet. Beide Empfehlungen beruhen dabei auf Studien, die Karieserkrankungen beobachtet und analysiert haben. Da Karies-Auswirkungen aufeinander aufbauen und sich gegenseitig von der Jugend bis in hohes Alter bedingen können, sollte der Verzehr von freien Zuckern lebenslang möglichst niedrig gehalten werden. Diese Empfehlungen basieren auch auf der Erkenntnis, dass keine Nachteile durch einen Konsum von freien Zuckern unter 5 % der gesamten Energiezufuhr entstehen.

Interessant an der Position der WHO ist, dass kein direkter Bezug zu Übergewicht, Diabetes Typ II oder anderen Krankheiten neben Karies hergestellt wird. Lediglich die Gefahr von zu vielen, nicht genügend mit Nährstoffen verbundenen Kalorien wird beleuchtet und kritisiert.

Die Zuckersteuer in Großbritannien: wie sie konstruiert ist, was sie gebracht hat ... und was nicht!

Die Abgabe für die Erfrischungsgetränkeindustrie (soft drinks industry levy = SDIL) oder „Zuckersteuer“ ist eine Abgabe, die auf im Vereinigten Königreich hergestellte oder importierte Erfrischungsgetränke mit Zuckerzusatz erhoben wird. Sie trat im April 2018 in Kraft.

Sie beträgt für im VK hergestellte oder importierte Getränke

  • 21 Cent/Liter auf Getränke mit einem Zuckergehalt von 5 g - 8 g/100 ml
  • 28 Cent/Liter für Getränke mit >8 g Zucker/100 ml.

Die Einnahmen aus der Abgabe waren zunächst für Programme zur Bekämpfung von Fettleibigkeit bei Kindern vorgesehen. Seit dem ersten Jahr wurden sie jedoch trotz Protesten im allgemeinen Steuertopf versenkt.

Die SDIL wurde als Anti-Adipositas-Richtlinie eingeführt. Sie stand im Mittelpunkt der Strategie zur Bekämpfung von Adipositas im Kindesalter von 2016. Neben ihrer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit betonten die Befürworter ihre potenziellen wirtschaftlichen Vorteile durch die Verringerung der Gesundheitsausgaben im Zusammenhang mit Fettleibigkeit und die damit verbundenen Hindernisse für die Teilnahme am Arbeitsmarkt.

Das Hauptziel der SDIL war es, Anreize für die Neuformulierung von Erfrischungsgetränken auf zuckerärmere Rezepte zu schaffen. Die Abgabe zielte auch darauf ab, das Verhalten der Verbraucher zu ändern, billigere zuckerarme Getränke gegenüber teureren zuckerreichen Optionen zu wählen.

Die SDIL wird weithin als Erfolg angesehen. Der Gesamtzucker, der von Einzelhändlern und Herstellern in Erfrischungsgetränken verkauft wird, sank um 35,4% zwischen 2015 und 2019 von 135.500 Tonnen auf 87.600 Tonnen. Im gleichen Zeitraum sank der umsatzgewichtete durchschnittliche Zuckergehalt von Erfrischungsgetränken um 43,7 % von 5,7 g/100 ml auf 2,2 g/100 ml.

Allerdings ist zwar der Zuckerkonsum aus Erfrischungsgetränken zurückgegangen, der Gesamtabsatz von Erfrischungsgetränken stieg jedoch um 14,9% zwischen 2015 und 2019. Dabei stieg der Absatz von Getränken ohne Abgabe um 54,2 %, während der Absatz von Getränken mit niedriger und hoher Abgabe um 79,1 % bzw. 54,8 % zurückging. Die langfristige Rentabilität der Branche wurde durch die SDIL nicht beeinträchtigt.

Die Preise für Getränke mit hohen Abgaben (nicht neu formuliert) sind gestiegen, wobei Studien eine Weitergabe der Steuer von 31 % (8,7 Cent/Liter) bis 140 % (39 Cent/Liter) berichten. Dies macht die Steuer regressiv, wie von Kritikern befürchtet. Die Preise für abgabefreie, neu formulierte und standardmäßige Getränke (der Großteil des Marktes) sind jedoch stabiler geblieben, was bedeutet, dass die Verbraucher immer noch eine ähnliche Auswahl an erschwinglichen Erfrischungsgetränken haben wie vor der Abgabe.[25] Übergewicht und Fettleibigkeit haben in Großbritannien trotzdem weiter zugenommen, wobei jüngste Zahlen zeigen, dass 64 % der Erwachsenen in England übergewichtig oder fettleibig sind. Dies unterstreicht, dass die SDIL keine „Wunderwaffe“ ist. Die Reduzierung des Zuckerkonsums allein wird diese Trends nicht umkehren. Angesichts der Tatsache, dass 14 verschiedene Regierungsstrategien in den letzten drei Jahrzehnten konsequent daran gescheitert sind, diese Trends zu bekämpfen, bedarf es eines umfassenderen Umdenkens in der Art und Weise, wie die Regierung eine wirksame Adipositas- politik konzipiert und umsetzt. QUELLE: www.instituteforgovernment.org.uk/article/explainer/sugar-tax