Markt, Politik, Ökonomie
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Erhebliche Auswirkungen auf die globale Versorgung
Ukrainekrieg und Getreidemarkt
Druck auf die benachbarten Länder – EU-Aufnahmeperspektive problematisch

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Erhebliche Auswirkungen auf die globale Versorgung
Ukrainekrieg und Getreidemarkt
Druck auf die benachbarten Länder – EU-Aufnahmeperspektive problematisch
von Bernhard Dahmen, Cropenergies AG
Als Präsident Putin am 24.2.2022 den Befehl zum Angriff Russlands auf die Ukraine gab, hat wohl niemand geahnt, dass nach diesem Krieg nichts mehr so sein wird wie zuvor. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich die Lage in der ukrainischen Getreide- und Ölsaatenproduktion drastisch verändert. Der Konflikt und die damit einhergehenden Einschränkungen im Handel haben erhebliche Auswirkungen auf die globale Versorgung mit Agrarerzeugnissen. In diesem Artikel werden beispielhaft die Entwicklungen und Auswirkungen auf die Märkte für Weizen und Mais in der Ukraine seit Februar 2022 beleuchtet.
Die Hintergrundgeschichte
Der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Instabilität in der Region haben die Nahrungsmittelversorgung und die globalen Lieferketten stark beeinflusst. Die Ukraine ist ein bedeutender Produzent von Getreide und Ölsaaten und hat seit jeher auch den Namen „ Der Brotkorb der Welt“ zu sein. Die Ukraine mit ihren hervorragenden Schwarzerde Böden, ihren Häfen, ihrer geografischen Lage am Schwarzen Meer, von wo aus sowohl die Nachfragemärkte in Nordafrika wie auch die in Asien konkurrenzfähig bedient werden können, spielt eine wichtige Rolle in der weltweiten Nahrungsmittelversorgung. Seit dem Beginn des Krieges ist die sichere Versorgung der genannten Exportmärkte erheblichen Unterbrechungen unterworfen und die Ukrainer mussten sich alternative Wege zur Vermarktung ihres Getreides aufbauen. Hierdurch kam es auch zu einer massiven Verschiebung unter den Empfängern.
Monatliche Weizen-Exporte zwischen 1 und 2 Mio. t und bei Mais zwischen 2 und 5 Mio. t. Quelle: BlackSilo
Die Schwarzmeer-Getreide-Initiative
Um die Versorgung insbesondere der afrikanischen Märkte weiter zu gewährleisten, wurde Im Juli 2022 unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei die sogenannte „Schwarzmeer-Getreide-Initiative“ ins Leben gerufen. Diese Initiative sollte die sichere Ausfuhr von Getreide aus den wichtigsten und damals noch funktionsfähigen ukrainischen Häfen im Schwarzen Meer ermöglichen.
Von August 2022 bis Juli 2023 funktionierte das mit Russland ausgehandelte Getreideabkommen relativ gut und ermöglichte der Ukraine bei Weizen monatliche Exporte zwischen 1 und 2 Mio. metrische Tonnen (mt) und bei Mais zwischen 2 und 5 Mio. mt. Russland, welches ja selbst im Jahr 2022 eine Rekordernte eingefahren hatte und auch im Jahr 2023 eine Getreideernte von wieder rund 100 Mio. mt eingefahren hat, störte es natürlich, dass die Ukraine trotz des Krieges und der damit verbundenen Zerstörung von Infrastruktur weiter im Weltmarkt für Getreide „störte“. Ab April 2023 gingen die Exporte über die ukrainischen Häfen aufgrund gezielter Angriffe und Zerstörungen der ukrainischen Getreideanlagen durch russische Raketen und Drohnenangriffe signifikant zurück und Mitte Juli 2023 wurde das Getreideabkommen von Russland nicht verlängert. Am selben Tag wurden die Angriffe auf ukrainische Häfen, Siloanlagen und Infrastruktur massiv und leider mit großem Erfolg ausgeweitet.
Re-Orientierung der ukrainischen Weizenausfuhren. Quelle: CropEnergies
EU-Solidarity Lanes
Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges hat die EU zur Unterstützung der Ukraine die sogenannten Solidarity Lanes geschaffen. Diese sollten es den Ukrainern ermöglichen, alternative Exportwege für Ihr Getreide zu nutzen und dem Land weiterhin Getreide- und Ölsaatenexporte sichern. Seit Beginn dieser Initiative exportierte die Ukraine nahezu 25mio. mt Getreide und rund 12 Mio. mt Ölsaaten über diese Logistikwege. Die EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und die Slowakei importierten rund 9 Mio. mt Getreide und 7,5 Mio. mt Ölsaaten. Nahezu 55% der gesamten Getreideexporte der Ukraine wurden über diese Logistikwege geliefert, wobei insbesondere die Donaumündung nochmals eine besondere Bedeutung hatte.
Nach Aufkündigung des Getreideabkommens Mitte Juli 2023 wurden die Solidarity Lanes noch erweitert, aber Russland hat die strategische Bedeutung der Donau natürlich erkannt und seit Mitte Juli auch hier alle grenznahen Getreideanlagen und die Infrastruktur ins Visier genommen.
Neben dem Kampf mit Russland führten die Solidarity Lanes natürlich auch zu Spannungen mit den EU-Ländern. Die erheblichen Getreidemengen, die durch die Unterstützung der Ukraine in die EU flossen, veränderten natürlich auch hier die Markt und Logistik Situation gravierend. Zunächst machte sich dies in der Schiffs-, Bahn- und LKW-Logistik bemerkbar. Speziell in den genannten EU-Ländern die direkte Anrainer der Ukraine sind, wurden Transportkapazitäten knapp, weil diese zum Export ukrainischen Getreides und Ölsaaten benötigt wurden. Aber auch andere EU-Länder, welche die Solidarity Lanes massiv unterstützten, hatten mit der Verringerung von Transportkapazitäten zu kämpfen.
Der Druck, den die aus der Ukraine kommenden Getreide- und Ölsaatenmengen auf den EU-Markt insbesondere in den osteuropäischen und mitteleuropäischen Ländern ausübte, sorgte natürlich für erheblichen Unmut in den betreffenden EU-Mitgliedsländern, weil zur Ernte 2023 die Preise beispielsweise für Weizen auf ein Erzeugerpreisniveau von unter 200€ sanken.
So war es nicht verwunderlich, dass sich die betroffenen EU-Länder entschlossen, keine weiteren Importe von ukrainischem Getreide mehr zu akzeptieren, sondern ausschließlich bereit waren, ukrainisches Getreide zu den Häfen im Transit passieren zu lassen. Darüber hinaus wurde man bei der EU vorstellig und erreichte das zur Entlastung der betroffenen Landwirte bisher 2 Finanzpakete zur Unterstützung der Landwirte in Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und der Slowakei aufgelegt wurden. Das erste Maßnahmen Bündel vom 2. Mai 2023 umfasste eine Summe von 56,3 Mio. € und in einem zweiten Paket wurden nochmals 100 Mio. € bereitgestellt. Auch mit diesen Hilfen durch die EU bleibt es für die Landwirte schwierig, mit dem aktuellen Preisniveau in den Märkten zurecht zu kommen. Hohe Energie-, Saatgut und Düngemittelpreise führen dazu, dass aktuell weit unter Erstellungskosten verkauft werden müsste.
Auswirkungen des Krieges auf die Preise
Mit Beginn des Krieges wurden die Unsicherheiten über die weltweite Versorgung mit Getreide zunächst als so gravierend eingeschätzt, dass die Preise an der Pariser Börse sogar die Marke von 400€ für Weizen überschritten. Nach Einigung auf die Getreideinitiative kam es bis Ende des Jahres 2022 zu einem Absinken der Preise auf bis zu 300€, diese Preisniveau wurde dann zu Beginn des Jahres 2023 nochmals unterschritten und die Preise an der Pariser Börse sanken auf zeitweise unter 220€/mt. Für diese Entwicklung sind neben den guten Ernteaussichten natürlich auch die weltweit – auch durch den Krieg beeinflussten – wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich. Sowohl die hohen Energiepreise als auch die Inflation in vielen Ländern tragen zur Verunsicherung und Veränderung im Nachfrageverhalten von Verbrauchern und Industrie bei.
MATIF-Weizen-Futures Perspektiven: Preisentwicklung der Terminnotierungen an der Pariser Weizenbörse Matif. Quelle: BlackSilo
Auswirkungen auf die Nachfrage
Die Nachfrage nach Getreide ist in vielen Regionen deutlich zurück gegangen. Wenn man in der EU 27 einen Nachfragerückgang von 10% über die gesamte getreideverarbeitende Industrie annimmt, würde dies eine Einsparung von rund 25 Mio. mt alleine in der EU 27 bedeuten. Ob und wann sich die Nachfrage wieder normalisiert, kann derzeit kaum vorher gesagt werden; sicher ist aber, dass beispielsweise die Tierzahlen in der EU auch durch nationale Gesetzgebung weiter reduziert werden und die Produktion von tierischen Veredlungsprodukten sinkt. Auch alternative Produkt wie beispielsweise Milchalternativen haben mittlerweile nennenswerte Marktanteile erobert und werden voraussichtlich dauerhaft bleiben.
Die aktuelle Situation und Zukunftsaussichten
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Entscheidung Russlands, die Schwarzmeer-Getreide-Initiative im Juli 2023 zu beenden, hat erneut Unsicherheit auf den Agrarmärkten geschaffen. Für die Ukraine bedeutet der Krieg - trotz der ungeheuren Mentalität immer wieder aufzubauen und weiterzumachen - signifikante Auswirkungen auf Produktion und Handel mit Getreide und Ölsaaten. Solange der Seeweg für die Ukraine weiter verschlossen bleibt, drückt quasi „eine zweite Ernte“ nach Europa und wird hier das Preisniveau erheblich beeinflussen.
Gefahr der Eskalation
Solange Russland weiterhin zwischen 4 und 5 Mio. mt Getreide pro Monat exportiert, wird es auch für die weltweite Marktentwicklung bei moderaten Preisen bleiben und die Versorgung mit Getreide bleibt gewährleistet. Die größte Gefahr für die Getreideversorgung liegt in einer möglichen Eskalation des Krieges im schwarzen Meer. Sollte die Ukraine gezielt Handelsschiffe mit russischem Getreide angreifen oder die Hafeninfrastruktur Russlands beispielsweise in Noworossijsk zerstören, könnte dies zu einer erneuten Explosion von Getreide und Energiepreisen führen, denn Russland ist sowohl bei Getreide als auch bei Erdöl der weltweit größte Exporteur.
Die Ukraine wird an den Folgen des Krieges noch lange leiden, auch wenn er – hoffentlich – in absehbarer Zeit beendet wird. Die Zerstörung des Kahovka Staudamms hat massive Folgen für die Bewässerung verschiedener Anbaupflanzen und wird die Erträge in den betroffenen Regionen erheblich schmälern. Der Anbau von Ackerkulturen wird in vielen Regionen durch verminte Felder und die andauernden Kriegshandlungen erschwert. Eine Wiederherstellung der Hafenanlagen und Logistik Infrastrukturen ist nach Aussage unserer Partner in der Ukraine mit einem Zeitaufwand von mindestens 2 Jahren behaftet.
Wie sich die weltweiten Lieferketten aufgrund des Krieges verändern, ist derzeit noch nicht abzusehen und es stellt sich auch die Frage, wie soll die Ukraine mit hochprofessioneller, intensiver Landwirtschaft in die EU aufgenommen werden, wo doch eher der Weg zur extensiven Landwirtschaft verfolgt wird?
